Abstract

Die Erfindung des «Senioren-Alters» Die Trennung der Lebensalter wie die damit einhergehenden Festlegungen legitimer Praktiken gründen im Auftreten neuartiger, in der sozial-fürsorgerischen Ubernahme der Generationen spezialisierter Institutionen. Die Erfindung eines neuen Stadiums des Lebenszyklus, zwischen Reife und Greisenalter gelegen —das sogenannte «Senioren-Alter»-, resultiert wesentlich aus einer Generalisierung der Rentensysteme und der daran gekoppelten Behandlungsweisen des Alters. War kollektive Verwaltung im Sinne von Sozialfürsorge bisher nur auf eine altersmäßig nicht spezifizierte Gruppe von Individuen, nämlich die Bedürftigen, beschränkt, so wird im Rahmen der Wohlfahrts-pflege der «älteren» Menschen die kollektive Verwaltung der «Greise» tendenziell zur Normalform. Mit der Institutionalisierung der sozialfürsorgerischen Leistungen gegenüber alten Menschen einher ging die Anwendung administrativer und fînanzieller bürokratischer Maßnahmen und Techniken, die Entwicklung stehender, in der Wohlfahrtspflege spezialisierter Einrichtungen wie auch die Schaffung von Taxinomien zur differentiellen Bestimmung der Aktivitäten dieser Organismen. Die fortschreitende Differenzierung der in der Wohlfahrtspflege der alten Menschen tätigen Einrichtungen fîndet ihren Grund in der Generalisierung der Rentensysteme auf alle sozialen Kategorien. Die Rentenkassen, mit neüartigen Gesuchen um Ubernahme konfrontiert, haben in der Aufstockung der über sie in die Altershilfe fließenden Fonds das probate Mittel gefunden, um jenen zu entsprechen. Diese mit dem Entstehen ergänzender Rentenkassen erheblich gestiegenen Fonds bilden nun einen der Einsätze, die der Herausbildung eines relativ autonomen Feldes von Einrichtungen, die um die Kontrolle und Verwaltung jener Fonds konkurrieren, zugrundeliegen. Die Schaffung neuer Dienstleistungen fur «ältere» Menschen und die daran gebundene Vorstellung des Alters (das «Alter, eine neue Jugend») sind wesentlich Ergebnisse dieses Kampfes. Durch die Bildung dieses Feldes und, parallel dazu, die Konstituierung des Alters als eigenstàndiger Lebensabschnitt, dessen Charakteristikum wesentlich in einem Vorsprung an Jahren besteht, wird nun aber die Tatsache verschleiert, daß die Definition des Alters Gegenstand von Konflikten zwischen den geseilschaftlichen Klassen darstellt — wie sich an der Geschichte der Einführung kollektiver, im Ursprung den Volksklassen vorbehaltenen Behandlungsweisen des Alters ablesen läßt. Freilich kann das Auftreten dieses sogenannten «Senioren-Alters» nicht auf eine bloße Bedürfnismanipulation zurückgeführt werden, um die quasi alle an der Wohlfahrtspflege der alten Menschen interessierten Einrichtungen konkurrierten. Die Entwicklung und der frühzeitige Einsatz sozialfürsorgerischer Leistungen gegenüber den Alten sind vielmehr als Resultat von Veränderungen in den Beziehungen zwischen den Generationen zu begreifen. Es scheint, daß von diesen Veränderungen ganz besonders die Mittelklassen in Mitleidenschaft gezogen worden sind, die nun im «Senioren-Alter» eine Art gesellschaftliche Iden-tität sowie einen Tummelplatz fur ihre Bedürfnisse nach Aktivität finden.

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