Abstract
Die Faszination fur Spekulation und Borsengeschafte fand im Paris der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts nicht nur Ausdruck in der Belletristik (Zola: L’Argent) und massenmedialer Skandalisierung. Spekulation war eine verbreitete Praxis der Mittelklassen (classes moyennes) und sogar von Teilen der Unterschichten. Eine Sozialgeschichte des Kapitalismus muss solche Formen der Partizipation integrieren, ohne dabei fundamentale Ungleichheitsstrukturen (v.a. Vermogen, aber etwa auch Markt- und Informationszugang) zu vernachlassigen. Nach einer kurzen wirtschaftshistorischen Einordnung greift der Beitrag klassische finanzhistorische Deutungsmuster kritisch auf. Diese betonen die Entwicklung der Pariser Borse zu einem effizienten Markt und die angebliche »Demokratisierung« der Geldanlage in Wertpapieren. Im Gegensatz zu solchen generalisierenden und nivellierenden Perspektiven zielt der Artikel auf Kleinanleger, die oft auf informellen Markten aktiv waren: »M. et Mme Tout-le-monde«, Herr und Frau Jedermann dienen als Indikatoren fur die Verbreitung von Finanzwissen und fur die Akzeptanz spekulativen Handelns. Durch diese Form der Teilhabe am Finanzmarkt legitimierten sie letztlich den Kapitalismus durch Mitmachen. Wegen niedriger Markteintrittshurden bot bis in die Belle Epoque der graue Kapitalmarkt im Umfeld der Pariser Borse dafur beste Voraussetzungen. Besondere Aufmerksamkeit gilt spekulierenden Frauen aus allen sozialen Schichten, die eine bevorzugte Projektionsflache fur Spekulationskritik waren. Die ihnen unterstellte okonomische Unkenntnis stand in manifestem Gegensatz zu ihrer offensichtlichen Kenntnis der Usancen am Kapitalmarkt. Quantitative Daten, Polizeiakten, Belletristik, zeitgenossische okonomische Literatur und Bildquellen erlauben eine erste Annaherung an diese Gruppen von Akteuren und an die Mechanismen der sozialen Schliesung des sich professionalisierenden Pariser Finanzmarkts.
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