Abstract

Zusammenfassung: Unter ritueller sexueller Gewalt werden Formen organisierten sexuellen Missbrauchs verstanden, die ideologisch geprägt sind und von mehreren Täter_innen über längere Zeiträume ausgeübt werden. Üblicherweise wird in Verbindung mit dem Phänomen von Prozessen absichtlicher Persönlichkeitsspaltung, induzierten Amnesien und Instruierbarkeit der Opfer ausgegangen. Im Zuge eines Projekts, das durch die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert worden ist, wurden mehrere Veröffentlichungen erstellt, darunter eine Online-Umfrage an 165 selbst-definierten Betroffenen ( Nick et al., 2018 ; https://doi.org/10.21706/TG-12-3-244 ). Der vorliegende Beitrag setzt sich insbesondere mit der Ergebnisinterpretation der Studie von Nick et al. kritisch auseinander. Angesichts umfangreicher empirischer und theoretischer Literatur sind drei Punkte festzuhalten: 1) Sowohl die Angaben zu Amnesie als auch zum Wiedererinnern erscheinen gedächtnispsychologisch unplausibel. 2) Die Angaben über erlittenen rituellen sexuellen Missbrauch sind alternativ durch suggestive Prozesse erklärbar. 3) Es liegen keine belastbaren Belege für Phänomene wie die intentionale Persönlichkeitsspaltung vor. Angesichts der möglichen Gefahren für Betroffene (Bestärkung suggerierter Scheinerinnerungen, nicht-hilfreiche Therapie / Beratung) ist ein vorsichtiger Umgang mit Behauptungen über die Existenz von ritueller sexueller Gewalt geboten, auch im Rahmen öffentlich geförderter Projekte.

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