Abstract

Das Spektrum der dogmatischen Sündenlehre spannt sich zwischen zwei Polen auf: Auf der einen Seite wird bei der individuellen Sündenerfahrung angesetzt, um die verstörende Wirklichkeit des Schuldbewusstseins einzuholen. Exemplarisch dafür kann die Sündenlehre von Julius Müller (1801–1878) gelten. Auf der anderen Seite wird der Ausgang bei der Selbstoffenbarung Gottes genommen, um der dem individuellen Sündenbewusstsein gerade unzugänglichen Radikalität der Sünde Rechnung zu tragen. Exemplarisch dafür kann die Sündenlehre von Karl Barth (1886–1968) gelten. Bei näherer Betrachtung wird nun deutlich, dass beide Ansätze jeweils ein elementares Grundanliegen der Sündenlehre zur Geltung bringen, das von der anderen Seite nicht eingeholt werden kann. Beide Ansätze sind insofern für sich allein defizitär und auf eine komplementäre Ergänzung angewiesen, ohne diese doch in den eigenen Entwurf integrieren zu können. Das irreduzible Gegenüber der Sündenlehren von Müller und Barth verweist damit auf die Notwendigkeit einer »doppelten Buchführung« in der Dogmatik.

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