Abstract

Der Beitrag setzt sich mit der psychiatrischen Beurteilung der Persönlichkeit im Zusammenhang mit der Fremdplatzierung von Kindern auseinander. Im Zentrum steht die Begutachtung zweier Kinder, die 1957 beziehungsweise 1972 von ihren Vormunden in die kinderpsychiatrische Beobachtungsstation Brüschhalde im Kanton Zürich eingewiesen wurden. Die Autorinnen und Autoren zeigen auf, wie Persönlichkeit im stationären Kontext konzeptualisiert, erfasst und bewertet wurde. Bei den beiden ausserehelich geborenen Kindern diagnostizierten die begutachtenden Ärztinnen und Ärzte, wie bei den meisten Kindern in der Brüschhalde zu jener Zeit, «abnorme», genauer «neurotische Reaktionen», die durch «ungünstige Milieuverhältnisse» ausgelöst worden waren und zu Entwicklungsstörungen führten. Das Persönlichkeitskonzept der Kinderpsychiatrie stellte ein Entwicklungskonzept dar, das nicht nur die individuelle Entfaltung, sondern auch die gesellschaftliche Assimilation zum Ziel hatte. Die wichtigste Voraussetzung für eine «normale» Persönlichkeitsentwicklung des Kindes war und blieb ein «geordnetes, harmonisches Familienleben». Massgeblich für die Fremdplatzierung war nicht die Diagnose, sondern die familiäre Konstellation und die Persönlichkeit der Eltern, insbesondere der Mütter.

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