Abstract

Entgegen der Popularität von Joachim Ringelnatz’ (1883–1934) Märchen beim Lesepublikum, fehlt bislang eine diachrone Betrachtung seiner Neigung zur Märchengattung im Gesamtkontext der Entwicklung seiner Poetik. Die Forschungen zu seinen experimentellen Nachkriegsmärchen erläutern deren spezifische tonangebenden, disharmonischen Merkmale und deren Subversion der herkömmlichen Märchenerzählverfahren ausschließlich im Rahmen synchroner—autobiographischer oder parodistischer—Kontexte, welche es nicht ermöglichen, das primäre konstitutive Moment ihres destruktiven Charakters deutlich aufzuzeigen. Daher interpretiert dieser Beitrag Ringelnatz’ bislang unerforschte, auf neoromantische Weise optimistische Einstellung zur Märchengattung im Rahmen seiner Vorkriegswerke: im Gedicht Ein Traum (1906), in den Märchen Der ehrliche Seemann (1908), Der Wunderbrunnen (1913), und in der Märchenerzählung Phantasie (1912). Sein Märchenwerk aus der Vorkriegszeit zeichnet sich durch die Schaffung von Seelenräumen aus, in denen die Neigung zum Seelenleben und zur Kindlichkeit als eine Modalität der transzendentalen Erfahrung der Selbstharmonisierung mit der Welt angedeutet wird. Im Vergleich zur neoromantischen (seelenbeschwörenden) Chronotopik seiner Vorkriegsmärchen erweisen sich die Märchenwerke der Kriegs- und Nachkriegszeit als konzentrierter Ausdruck des enttäuschten Verlusts des Glaubens an das ontologische Potential der Märchengattung und an die inhärente Güte und Transzendenzfähigkeit der menschlichen Innerlichkeit. Ihre Chronotopik stellt eine gezielte Negation der romantischen Märchenchronotopik dar.

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