Abstract

In dieser Arbeit werden Entwicklungslinien der Angstwahrnehmung in der Arzt-Patient-Beziehung dargestellt und ihre Alternativen: Mut und Vertrauen in ärztlichen, philosophischen und theologischen Begegnungen. Um zu einer neuen Hypothese zu kommen: Der Mut des Patienten, der Mut des Arztes, eigene Gefühle zuzulassen und wahrzunehmen, kann ein großes diagnostisches, aber auch therapeutisches Hilfsmittel sein. Angst gehört dazu, wie Scham, wie Schuld. Der Hippokratische Eid: „Nicht zu schaden” übersetzt sich doch leicht in die Angst, nicht genügen zu können. Die These, dass sich in der Angst die Freiheit zeigt, der wir in der Arzt-Patient-Beziehung begegnen, steht in einem diametralen Kontrast zu der Tatsache, dass das ärztliche Wissen unserer Zeit mehr und mehr im Begriff steht, durch statistisches Wissen, also ein Wissen, das mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet, dominiert zu werden. Dies aber ist nicht auf den Einzelfall eingestellt. Der Arzt hat es aber immer mit einem Einzelfall zu tun. Dieses Dilemma scheint nicht auflösbar - oder? Wenn ich von der „Suche nach der verlorenen Vernunft” spreche, meine ich die emotionale Vernunft, deren Unterdrückung in der Wissenschaft des vorigen Jahrhunderts möglicherweise durch die Entdeckungen der Neurobiologie und die neueren Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie aufgehoben werden wird. Der Wahlspruch Kants „Sapere aude” könnte dann durch einen zweiten ergänzt werden: „Sentire aude - habe Mut zu deinem eigenen Gefühl!” Ziel sollte es sein, die Zusammenhänge der Unterdrückung von Emotionen, von Angst und Ohnmacht, Zuversicht und Hoffnung in ein neues Gleichgewicht zu bringen und sie adäquat zu balancieren. Die Zukunft wird zeigen, ob sich in der Angst die Freiheit zeigt, der wir in der Arzt-Patient-Beziehung begegnen.

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