Abstract

Abstract. This contribution of a literary scholar to the history of geopolitics argues for the consideration of literary sources as constituents of the „classical“ geopolitical discourse (Ratzel, Kjellén, Haushofer). It exemplifies this claim by revealing the geopolitical components through which Gustav Freytag's novel Soll und Haben (Debit and Credit, Freytag, 1855, 1858) creates spaces, civilizations, and stories. Approaching these issues from the perspective of literary history and the history of knowledge, this paper turns to Freytag's novel to examine whether the literature of the period of the so-called „bourgeois“ or „poetic“ realism belongs to the genealogy of German political geography and geopolitics and how to study its impact on their increasingly manifest political program after the beginning of the First World War. Especially the establishment of the topos of the „Volk ohne Raum“ (people without space) in the east of the German Reich and the reorientation of geopolitics „gen Osten“ (toward the east) in the early twentieth century find a highly compatible antecedent in Soll und Haben.

Highlights

  • Für diese Neuausrichtung der „wachsenden Räume“ (Hesse, 1924) des Reiches in Richtung Osten sind mehrere Unterstellungen entscheidend, die bereits in Freytags Soll und Haben nachgewiesen worden sind und die allesamt auch in der Geopolitik oder bei geopolitisch beeinflussten Historikern der Zwischenkriegszeit virulent sind: (1) Der Osten ist schwächer besiedelt

  • Zur narrativen Organisation von Archiven durch die Literatur, in: Gewalt der Archive

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Summary

Raum und Literatur

Der Titel dieses Beitrages, Geopolitik als Literatur, kündigt zwei Thesen an: Erstens kann die Politische Geographie, wie sie etwa in den Werken Friedrich Ratzels und Rudolf Kjelléns Kontur und Resonanz gewinnt, als Literatur gelesen werden, nicht allein als wissenschaftliche oder doch zumindest parawissenschaftliche Werke, sondern wie Romane oder Erzählungen als literarisch verfasste Texte, deren Landschaftsbeschreibungen, Motive, Handlungselemente, semantische Strukturen literarturwissenschaftlich analysiert werden können. Die Landschaft, über die Anton Wohlfahrt kontempliert, ist nicht nur auf konkrete Weise situiert oder „verortet“, nämlich an der Landstraße von Ostrau nach Breslau, sondern vermittelt dem Betrachter wie dem Leser durch ihre topographische Ordnung auch gleich die regionale Einrichtung des „menschlichen Zusammenlebens“: Adel und Klerus herrschen patriarchalisch-pastoral über eine agrarische Bevölkerung, und die Natur segnet diese Ordnung mit „üppigen“ Ernten. Diese erste deutsche Raumnahme wird in Soll und Haben wiederholt und aktualisiert, wenn der Roman den Händler Wohlfahrt aus der Saturiertheit und Gemütlichkeit seines Kontors in Breslau in das revolutionäre Polen führt, ihn zu einer veritablen WohlFahrt auf einen Planwagen setzt (Freytag, 1855:493f.) und zum Ostlandfahrer Dass der Raum östlich von Schlesien und Pommern eine Wüste sei, die das Ergebnis der slawischen Verwüstung darstelle, ist eine Unterstellung, die sich später als prägend für die im Ersten Weltkrieg entstehende Konstruktion des Ostens erweisen wird (Werber, 2012). Sein Leben wird ein unaufhörlicher siegreicher Kampf sein gegen die finstern Geister der Landschaft; und aus dem Slawenschloß wird eine Schar kraftvoller Knaben herausspringen, und ein neues deutsches Geschlecht, dauerhaft an Leib und Seele, wird sich über das Land verbreiten, ein Geschlecht von Kolonisten und Eroberern. (Freytag, 1855:830f.)

Geopolitische Fluchtlinien eines Romans
Schluss
Literatur
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