Abstract

Book Reviews 159 Politik der 'mittleren Linie'. Den liberalen Kulturprotestanten ist der Weg in die politische Klasse generell verstellt; im Hause Max Webers darf der Name des Kaisers nicht genannt werden. Harnack dagegen erhält privilegierten Zugang zu Kaiser und Kanzlern. Bei Beginn des Weltkriegs nimmt er eine Schlüsselrolle als 'public moralist' ein und repräsentiert auf dem Höhepunkt seiner gelehrtenpolitischen Macht den Zusammenhang von Großstaat, Großwirtschaft und Großwissenschaft. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs (Kapitel V.) nahm es die internationale Gelehrtenwelt übel, daß der Dogmenkritiker Harnack ungeprüft den verhängnisvol len Aufruf der 93 'an die Kulturwelt' vom Oktober 1914 mit unterzeichnet hat. 'An die Greueltaten aus Belgien mochte er nicht glauben', schreibt Nottmeier und verfolgt im Anschluß, wie Harnack sich immer konsequenter ab 1916 für außenpolitische Mäßigung in den Kriegszielen und für innenpolitische Reformen einsetzte. Das führte ihn wieder mit Max Weber zusammen, auch wenn Harnack bis zuletzt Bedenken gegen eine Parlamentarisierung des Reichs trug, die Max Weber wiederum in seinen Zeitungsartikeln vehement forderte (S. 442). Nicht mehr so konzentriert ist das letzte Kapitel VI. über den konservativen Republikaner Harnack in der ersten deutschen Demokratie geschrieben. Sicherlich, Harnack ist 70 Jahre alt, aber hier wäre interes sant gewesen, im 'Weltbürgerkrieg der Werte und Weltanschauungen' (Dan Diner) die Netzwerke ebenso deutlich erkennen zu können wie zu Beginn des Buches: wie wirkt sich Harnacks große Reputation überhaupt zwischen 1920 und 1930 aus? Hier verlegt sich der Verfasser eher auf eine Interpretation von Harnacks Schriften. Ein großes Ziel, das allerdings beide nicht erreichten, teilte Harnack mit Weber: das deutsche Bürgertum nachhaltig mit der parlamentarischen Demokratie in der Weimarer Republik zu versöhnen. Das ist bei Nottmeier jetzt gut dokumentiert. Der Verfasser hat sich dabei den Denkstil Harnacks, immer der 'Ethik des Kompromisses' zu folgen (S. 139), selbst zu eigen gemacht. Alle Ecken und Kanten der ja sehr kontroversen Harnack—und Bürgertumsforschimg hat er verschliffen. Während sein Vorbild Wolfgang J. Mommsen so scharf wie möglich Gegensätze aufgezeigt und Kontroversen diskutiert hat, scheut Nottmeier klare Urteile und fügt so harmonisch wie möglich widersprüchliche Positionen zusammen. Es scheint ihm gleich, ob die Forschung im Protestantismus der Harnack-Epoche ein einheitliches nationales Lager oder im Gegenteil eine hochfragmentierte politische Kultur sieht. Den stets auf die 'mittlere Linie' zielenden Denkstil zeigt noch die Schluß these, die dem Doktorvater Heinrich August Winkler gewidmet ist: 'Harnack war kein vorbehaltloser Protagonist des "langen Wegs nach Westen" ' (S.521). Gangolf Hübinger Kulturwissenschaftliche Fakultät Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) Gangolf Hübinger Mark D. Chapman, Ernst Troeltsch and Liberal Theology: Religion and Cultural Synthesis in Wilhelmine Germany (Oxford: Oxford University Press, 2001), pp. xii + 218. ISBN 0199246424, (hb); 0199246823, (pb). £40 (hb) and £14.99 (pb). Emst Troeltsch (1865-1923) was one of the most influential intellectuals of the late Wilhelmine Empire and the early Weimar Republic. Although he was trained as a theologian, his interests were much wider. His voluminous study 77ie Social Teachings of the Christian Churches (1912) is considered to be one of the landmarks of early sociol ) Max Weber Studies 2005. 160 Max Weber Studies ogy and his typology 'church-sect-mysticism' is used up to the present day. Much of his work was concerned with the position of religion in the Western world. In his thoughtful book, Mark D. Chapman outlines two key questions in Troeltsch's work: What are the fundamental characteristics of the modern world and what constraints and opportunities do they offer for Christian social ethics? Chapman rightly stresses the historical character of Troeltsch's approach. History was not pursued for its own sake, but in favour of a better understanding of actual problems. Ultimately, this would have to lead to a cultural synthesis integrating the great powers of the Western world. One of these powers was the Christian religion which in Troeltsch's view defends the inherent value of the individual person against the dehumanizing forces of capitalism and state bureaucracy. Giving a cultural synthesis is by no means an easy task. At the end of Der Historismus und seine Probleme, published shortly before his death...

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