Abstract

Die Operation an den Gaumenmandeln ist im Kindesalter eine der haufigsten, und oftmals ist es der erste chirurgische Eingriff bei einem kleinen Patienten. Seit der medienwirksamen Haufung an Todesfallen von Kindern nach Tonsillektomie in Osterreich 2006 kommt es langsam zu einem Paradigmenwechsel in Deutschland. Da jedoch klare Leitlinien fehlen, werden Eingriffe an den Tonsillen je nach Landkreis und Vorlieben sehr inhomogen gehandhabt. In einigen Kreisen werden 8-mal so vielen Kindern die Gaumenmandeln entfernt wie in anderen. Kinder unter 6 Jahren sollten nur noch bei andauernden bakteriellen Mandelentzundungen komplett tonsillektomiert werden. Die Teilentfernung der hyperplastischen Mandeln, die Tonsillotomie, ist wesentlich risikoarmer und der Tonsillektomie vorzuziehen. Die Blutungsgefahr und die postoperativen Schmerzen sind bei der Tonsillotomie deutlich geringer als bei der Tonsillektomie. Die Tonsillotomie kann mit dem Laser, Radiofrequenzgerat, Shaver, Coblation, bipolarer Schere oder monopolarer Nadel durchgefuhrt werden. Entscheidend ist, dass die Krypten offen bleiben und lymphatisch aktives Gewebe in der Fossa tonsillaris zuruck bleibt. Die Indikation zur Tonsillektomie besteht weiterhin bei rezidivierenden bakteriellen Infekten, Antibiotikaallergie, PFAPA Syndrom (periodisches Fieber, Apthen, Pharyngitis, Adenitis) und Peritonsillarabszess (einseitig). Bei den rezidivierenden Tonsillitiden kommt es auf die Schwere und die Haufigkeit an. Bei Kindern bis zum Alter von 16 Jahren sollte man sich an die Paradise Kriterien halten: Eine Indikation zur klassischen, kompletten Tonsillektomie besteht bei 5 oder mehr Tonsillitiden in mindestens 2 aufeinander folgenden Jahren oder bei 7 oder mehr Tonsillitiden innerhalb eines Jahres. Die Diagnose Tonsillitis kann klinisch gestellt werden. Sie besteht bei Schmerzen, tonsillarem Exsudat und Fieber>38,3°C. Wandernder Schmerz, niedrigeres Fieber und Husten lassen eher an eine Viruspharyngitis denken. Im Zweifel sollte ein Abstrich oder Antigentest angelegt werden. Beim Abstrich oder Antigen-Schnelltest muss aber berucksichtigt werden, dass Viren, Bakterien und Pilze zur transienten Mundflora gehoren und 10% aller Kinder klinisch inapparente, nicht behandlungsbedurftige Dauerausscheider von Streptokokken sind. Screeningtests mittels Antistreptolysintiter, Abstrichen oder Schnelltests (wie von manchen Kindertagesstatten gefordert) sind daher sinnlos und rechtfertigen keine Antibiotikatherapie. Die akute, bakterielle Tonsillitis sollte mit nicht steroidalen Antirheumatika (z. B. Ibuprofensaft), Betalactamantibiotika (z. b. Penicillin oder Cefuroxim) und bei Kindern und Jugendlichen auch oralem Steroid (z. B. Dexamethason) behandelt werden. Hinsichtlich der Verkurzung des Krankheitsverlaufes und der Reduktion der Symptome ist die Kurzzeittherapie mit Azithromycin (20mg/kg KG) fur 3 Tage oder Clarithromycin und einem Cephalosporin fur 5 Tage der Langzeit Penicillintherapie ebenburtig. Auch das fruhzeitige Absetzen der Penicilline nach 5 Tagen zeigte keine Nachteile im Krankheitsverlauf, der Rezidivrate oder der Resistenzbildung. Aber nur die empfohlene 10 Tage Antibiotikatherapie senkt die Inzidenz des rheumatischen Fiebers (derzeit 0,5 Falle pro 100 000 Kinder in Europa) und der Glomerulonephritis signifikant. Hauptproblem bei der Tonsillektomie ist, neben dem Schmerz, die gefurchtete Spatnachblutung. Diese kann bis zum kompletten Abheilen der Wunde (i. d. R. nach drei Wochen) auftreten und lebensbedrohlich sein. Grosere Massenblutungen kundigen sich oft durch kleinere, spontan sistierende Blutungen an. Daher muss jede Nachblutung ernst genommen und der betroffene Patient stationar aufgenommen werden. Die Patienten und die Eltern sind uber das korrekte Vorgehen bei Nachblutung idealerweise vor der Operation, aber spatestens bei Entlassung, schriftlich zu informieren. Das Informationsblatt sollte Adressen, Notruftelefonnummern und Ansprechpartner enthalten. Schwere oder letale Verlaufe entstehen meist durch falsches Management der Nachblutung. Eine besondere Lebensgefahrdung besteht bei Kleinkindern, die ein geringes Blutvolumen haben und relativ viel Blut unbemerkt schlucken konnen, bzw. aspirieren. Fur den Notarzt stellt die Intubation einer massiven Nachblutung nach Tonsillektomie eine extreme Herausforderung dar, welche oft nur mit einem geeigneten starren Tonsillensauger bewerkstelligt werden kann. Alle Operationstechniken haben ein Risiko der Nachblutung und selbst der erfahrenste Operateur ist nicht davor gefeit. Jedoch zeigte die „Kalte Dissektion“ mit Ligatur oder Umstechungen die geringsten Nachblutungsraten. Nach Laser-, Coblations-, mono- oder bipolaren Techniken kommt es signifikant haufiger zu schweren Nachblutungen. Kinder mit Gerinnungsstorungen bluten haufiger nach und konnen praoperativ unentdeckt bleiben. Eine standardisierte Blutungsanamnese (17 Punkte Checkliste), wie von den Fachgesellschaften fur Padiatrie, Anasthesie und HNO empfohlen, ist sensitiver und einfacher als das Screening mittels Gerinnungsparametern. In der Realitat zeigt sich jedoch, dass in Deutschland sehr viele der operativ-tatigen HNO Arzte weiterhin harte Laborwerte wie INR und PTT bevorzugen, obwohl diese den haufigen Von-Willebrand-Faktormangel nicht detektieren ­konnen.

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