Abstract

ZusammenfassungIn den 2010er-Jahren betrieb die deutsche Regierung eine strukturkonservative Haushaltspolitik, was eine schwache staatliche Investitionstätigkeit trotz günstiger fiskalischer Bedingungen zur Folge hatte. Wie lässt sich das erklären? Die Literatur zum deutschen Haushaltsregime hat jüngst vor allem die Tradition des Ordoliberalismus sowie das konservative deutsche Wohlfahrtsmodell angeführt, um dieses BRD-typische Muster der Ausgabenpolitik zu hintergründen. Der Beitrag bietet stattdessen eine institutionssoziologische Erklärung, die das für die Haushaltspolitik grundlegende Beziehungsmuster zwischen Parlament, Regierung und Verwaltung fokussiert. Qua Ressortprinzip sind die relativ eigenständigen Minister mitsamt ihren Spitzenbeamten die zentralen Protagonisten der bundesdeutschen Haushaltsverhandlungen, in denen sich Partei- und Ressortpolitik überlagern. Der Finanzminister verfügt in der tradierten Rollenstruktur der deutschen Kabinettsordnung über eine besondere Machtstellung, was ihm die Profilierung als „Sparsamkeitsminister“ nahelegt. Umgekehrt verfügen die Repräsentanten der Koalitionsparteien und des Bundestages wie auch die Verwaltungsspitzen der anderen Ministerien über ein je spezifisches Profil an Machtmitteln. Diese Konstellationen bringen inkrementalistische Interaktionen in der Exekutive hervor, die je nach Umständen in der Erstreitung marginaler Ausgabenspielräume oder der Kürzung freiwilliger Ausgaben resultieren. Diese Verhandlungslogiken laufen einer umfassenderen Investitionsplanung zuwider. Die Rolle des Bundestags beschränkt sich trotz seiner formalen haushaltspolitischen Souveränität darauf, die Unterstützung oder Missbilligung von Ministern zu kommunizieren. Im Ergebnis zeigt sich, dass das institutionelle Macht- und Rollenprofil der Ministerien, das in den Haushaltsverhandlungen zur Geltung kommt und in dem das BMF traditionell als mächtiger Vetospieler agiert, die Kontinuität des haushaltspolitischen Strukturkonservatismus über Machtwechsel hinweg garantiert.

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