Eines der zentralen Anliegen der Umwelttoxikologie ist die Entwicklung und Verfeinerung von Methoden und Ansatzen, die geeignet sind, die bestehende Artenvielfalt vor der Einwirkung toxischer Substanzen zu schutzen. Eine immanente Schwierigkeit, der wir dabei auf Schritt und Tritt begegnen, ist die Tatsache, dass sich definierte toxische Effekte, die auf sub-individueller, individueller und artspezifischer Ebene beobachtbar sind, auf dem Niveau von Populationen oder Lebensgemeinschaften viel unspezifischer manifestieren. Daher sind wir bei der Interpretation solcher Veranderungen auf Hinweise angewiesen, die uns zu den basalen Mechanismen toxikologischer Wechselwirkungen fuhren. Nur dann, wenn wir diese Mechanismen auch verstehen, werden wir in der Lage sein, Arten; Populationen und Lebensgemeinschaften vor Schadstoff-Einwirkungen bestmoglich zu schutzen. Ein gutes Beispiel fur diesen Denkansatz sind jene toxikologischen Wechselwirkungen und Effekte auf verschiedenen Ebenen der biologischen Organisation, die mit der Expression von Metallothioneinen (MTs) einhergehen. MTs sind bekanntlich muttifunktionale Stressproteine, denen eine wichtige Aufgabe bei der Bindung, Entgiftung und Speicherung von metallischen Spurenelementen im allgemeinen zugeschrieben wird, deren Aufgaben im einzelnen jedoch intraund interspezifisch in einem breiten Funktions-Spektrum vari-ieren und weit uber eine blose Metall-Entgiftung hinausreichen konnen. Der Einsatz von MTs als Biomarker fur Metallexpositionen ist vor diesem Hintergrund daher zwar ein brauchbarer und vielversprechender, jedoch keinesfalls trivialer Ansatz. Die Erfassung und Quantifizierung von MTs als Antwort auf Metallstress ist in all jenen Fallen und bei Arten angebracht, in denen die Induktion von MTs aufgrund von Metallbelastung gegenuber anderen Induktionsursachen betrachtlich uberwiegt. Als Induktor unter den Metallen kommt gelegentlich nur eine Metallspecies (z.B. Cd2+) in Frage, sodass in einem solchen Fall die MT-Induktion als spezifischer Biomarker fur die Belastung eines Habitats mit dem entsprechenden Metall herangezogen werden kann. Dies ist beispielsweise bei MTs bestimmer Helicidenarten der Fall. Bei den meisten Tierarten, wie z.B. bei Drosophila melanogaster oder bei zahlreichen Fischarten, kommen mehrere Metallspecies (Cd2+, Cu+, Zn2+) als MT-Induktoren in Frage, und dementsprechend komplexer ist die Induktions-Antwort. Zu beachten ist ferner, dass sich unterschiedliche MT-Isoformen in ihrer Induzierbarkeit durch verschiedene Metall-Species stark voneinander unterscheiden konnen. Komplizierter wird die Lage, wenn MTs nicht nur durch Metalle, sondern in signifikantem Ausmas auch (oder ausschlieslich) durch intrinsische Faktoren (z.B. die Gonaden-Reifung) oder durch andere, extrinsische Stressfaktoren induziert werden. Als solche kommen z.B. Schadstoffe in Frage, die oxidativen Stress auslosen. Da die Induktion in derartigen Fallen uber komplizierte Induktionskaskaden ausgelost wird, kann sich die entsprechende Induktionsantwort auch in ihrem zeitlichen Muster betrachtlich von einer Metall-bedingten Induktion unterschelden. Vollig neue Aspekte ergeben sich dank molekularer Methoden und einer molekularen Betrachtungsweise der MT-Induktion. So zeigt sich, dass manche MT-Isoformen (z.B. bei der Weinbergschnecke) auf molekularer Ebene um mehr als das Hundertfache starker induziert werden konnen als auf Proteinebene. Dabei kann z.B. die Transkriptionsrate anhand der Akkumulation von MT-mRNA mittels Real-Time-Detection-PCR quantitativ erfasst werden. Eine detaillierte Analyse zeigt daruber hinaus, dass manche MT-Gene eine Fulle von Bindungsstellen fur Transkriptionsfaktoren zahlreicher anderer (also nicht nur Metallothionein-spezifischer) Stressproteine, sowie fur Transkriptions-Enhancer, —Inhibitoren und —Silencer beherbergen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die MT-Expression in vivo einer fein regulierbaren Abstimmung mit zahlreichen intrinsischen und extrinsischen Modulatoren, Induktoren und Stressoren unterliegt (‘fine tuning’ und ‘cross talk’). In den meisten bisherigen Anwendungen konnte der Anstieg (oder der Abfall) der MT-Konzentration einer Tierart nach Metall-Exposition oder bei Einwirkung anderer Stressoren als Biomarker fur diese Exposition herangezogen und quantitativ erfasst werden. Dabei blieb es mitunter fraglich, inwieweit die so beobachtete Biomarker-Antwort nich durch andere, physiologische oder extrinsische Faktoren (sogenannte ‘confounding factors’) mit beeinflusst bzw. moduliert wird. Die Verlagerung des Ansatzes auf die molekulare Ebene eroffnet allerdings nunmehr neue und vielversprechende Perspektiven zur Erfassung und Entwicklung zusatzlicher und wahrscheinlich viel empfindlicherer Biomarker fur die Stress-Exposition, als sie bisher auf Protein-Ebene zur Verfugung standen. Eine der Konsequenzen dieser Betrachtungen ist sicherlich auch die Einsicht, dass biologische Grundlagenforschung und angewandte Umwelttoxikologie sinnvoller Weise nicht voneinander zu trennen sind. Das Bemuhen um ein tieferes Verstandnis toxikologischer Wechselwirkungen auf individueller und subindividueller Ebene ist fur den angewandten Artenschutz auf Dauer nicht nur befruchtend, sondern unentbehrlich.
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